"Die Corona-Krise macht nachdenklich."

Vorwort


Liebe Leserinnen und Leser,

das Jahr 2020 begann für das Handwerk im Münsterland und in der Emscher-Lippe schwungvoll. Auch die Handwerkskammer war im Januar und Februar voller Tatendrang, bis der Bruch kam – bis die  Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 11. März 2020 COVID-19 zur Pandemie erklärte und der Deutsche Bundestag am 25. März eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ feststellte. Mitte März kam es zum ersten Lockdown im Kampf gegen das Coronavirus.

Schlagartig waren wir aus dem Leben, wie wir es bis dato kannten, gerissen. Die Handwerkskammer sagte ihren bevorstehenden Fachkräftetag ab. Auch der von uns organisierte bundesweite Gemeinschaftsstand für Zulieferbetriebe auf der Hannover Messe Anfang April kam nicht zum Einsatz.

Es gab Dringliches zu tun: die Beratung von Handwerksbetrieben zu den Folgen der Infektionsschutz und Hygienemaßnahmen, zu betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Fragen und natürlich den finanziellen Hilfen, die weitestgehende Umstellung unseres Bildungsangebotes auf Online-Unterricht. Die Pandemie bestimmt seither unser Tun. Viele unserer Dienstleistungen konnten ins Internet verlagert werden. Gespräche mit Betriebsinhabern via Kommunikationsmedien wurden intensiviert. Die Digitalisierung machte bei den Unternehmen aber auch bei uns einen großen Schritt nach vorn.

Eine große Herausforderung war im ersten Coronajahr die Gewinnung von Auszubildenden. In 2020 haben die Handwerksbetriebe im Münsterland und in der Emscher-Lippe-Region 5.063 neue Auszubildende eingestellt. Das sind 369 weniger (minus 6,8 Prozent) als im Vorjahr. Dazu muss man wissen: Die Betriebe hätten gern mehr ausgebildet. Nach dem Ausfall der wichtigen Praktikumsphase im Frühjahr wegen des Coronavirus und der danach sehr eingeschränkten Möglichkeiten zur Berufsorientierung in Schulen sind wir über das relativ glimpfliche Ergebnis erleichtert. Im Sommer war die Zahl der Lehrverträge noch um 15 Prozent eingebrochen. Danach hat das Handwerk aufgeholt. Die Betriebe und die Ausbildungsvermittler der Handwerkskammer haben sich insbesondere im Herbst ins Zeug gelegt, um möglichst viele  Schulabgängerinnen und -abgänger für eine Ausbildung zu gewinnen. Ende des Jahres boten Handwerksunternehmen im Kammerbezirk noch 359 offene Plätze im Online- Lehrstellenportal der HWK an. Denn es ist klar: Die Jugendlichen, die nicht ausgebildet werden konnten, fehlen später als Fachkräfte.

In den Corona-Monaten haben wir die Geschehnisse intensiv begleitet, beobachtet sowie die Lage und Standpunkte gegenüber der Öffentlichkeit kommuniziert und kommentiert. Die Positionen des Handwerks haben wir an die Politik herangetragen.

In diesem Jahresbericht sind die turbulenten Entwicklungen als Chronik zusammengefasst. Das Licht wird auch auf die sehr unterschiedlichen Situationeneinzelner Betriebe, die für das Handwerk in Zeiten von Corona stehen, geworfen. Wir hoffen, dass Sie, werte Leserinnen und Leser, unseren Bericht als interessante Lektüre erleben. Diesmal sagen wir nicht „Viel Spaß beim Lesen!“, denn wir finden, das Jahr 2020, die Corona-Krise, macht eher nachdenklich.



    HANDWERKSKAMMER MÜNSTER

Hans Hund                   Thomas Banasiewicz
Präsident                    Hauptgeschäftsführer

Im Gespräch mit Hans Hund


Im Gespräch mit Hans Hund

Präsident der Handwerkskammer Münster und des Westdeutschen Handwerkskammertages

Präsident der Handwerkskammer Münster und des Westdeutschen Handwerkskammertages




Wie hat das Coronavirus Ihr Wirken für das Handwerk im Kammerbezirk Münster in 2020 verändert?

Im Laufe der Pandemie hat mich besonders belastet, wie unterschiedlich die einzelnen Branchen und Betriebe von Corona betroffen sind. Insgesamt ließ sich feststellen und verkünden: „Das Handwerk is  stabil.“ Aber ich weiß, es geht nicht allen gut, ganz im Gegenteil, manche Branchen und Betriebe leiden stark unter der Corona-Krise. Wieder andere florieren und tätigen gute Umsätze. Dieser Spagat ist  frappierend.

Corona hat alle anderen Zukunftsthemen überdeckt, aber auch viele Dinge offengelegt. Es zeigte sich: Das Handwerk muss digitaler werden. Besonders kleine und mittlere Unternehmen brauchen bei der Digitalisierung Förderung und beratende Hilfestellung. Das ist eine Herausforderung für die Politik, aber auch die Handwerksorganisation.

Darüber hinaus ist der weit verbreitete Fachkräftemangel im Handwerk natürlich auch zu Coronazeiten nicht zu übersehen. Die Gewinnung junger Menschen als Auszubildende verlangte noch mehr Engagement als sonst.

Hans Hund


Meine Arbeit als Präsident ist auch für mich persönlich schwieriger geworden. Die Kontaktbeschränkungen haben Begegnungen und Betriebsbesuche erschwert bis unmöglich gemacht. Bei der  zwischenmenschlichen Distanz durch Videokonferenzen vermindert sich das Gespür für Themenprioritäten, weil die Kommunikationskanäle eingeschränkter sind. Ich bin davon überzeugt, dass Corona das  Handwerk verändern wird, so wie das Virus auch die gesamte Gesellschaft verändern wird. Corona hat den Druck auf die Digitalisierung erhöht. Weltweite Materialengpässe verändern das Wirtschaften.

Im Gespräch mit Thomas Banasiewicz


Im Gespräch mit Thomas Banasiewicz

Portrait Thomas Banasiewicz

Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Münster


Wie hat das Coronavirus Ihr Wirken für das Handwerk im Kammerbezirk Münster in 2020 verändert?

Als die Ausbreitung des Coronavirus begann, wussten wir alle nicht, wie sich die Pandemie entwickeln würde. Die Ereignisse überstürzten sich im März 2020. Auch in der Handwerkskammer waren wir innerhalb kürzester Zeit mit der Bedrohung unserer Gesundheit und Einschränkungen konfrontiert.

Weil das Neuland war, haben wir uns von Tag zu Tag orientiert. Vielfach mussten Entscheidungen sehr kurzfristig getroffen  werden. Es ging darum, die Pandemierisiken in der Handwerkskammer so gering wie möglich zu halten und gleichzeitig die ständige Erreichbarkeit und Verfügbarkeit unserer Experten für sehr viele Anfragen von Betrieben sicherzustellen, ganz besonders zu den staatlichen Hilfen und zum Arbeits- und Gesundheitsschutz. Die Bedingungen und Regelungen änderten sich oftmals kurzfristig.

Wir befinden uns derzeit in vielen Transformationsprozessen, die durch Corona größtenteils noch beschleunigt werden.

Thomas Banasiewicz


Da ist die digitale Transformation, die Transformation der Energieversorgung und auch der Fachkräftemangel aufgrund der Demografie erfordert Veränderung und bringt Wandel mit sich. Diese  Transformationsprozesse beschäftigen Handwerksunternehmen als Betroffene und als Branche, die Vieles selbst umsetzen muss. Die Betriebe werden sich auf diese Situation gewiss einstellen.

Wichtig ist, dass aber auch die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen stimmen. Dafür setzen wir uns ein. Wir unterstützen die Betriebe natürlich auch durch Weiterbildung, Beratung und Dienstleistung. Auf die enge Zusammenarbeit mit Partnerinstitutionen legen wir dabei großen Wert.

Im Gespräch mit Knut Heine


Im Gespräch mit Knut Heine

Portrait: Knut Heine

Stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Münster; Geschäftsbereich Bildung und Recht






Wie hat das Coronavirus Ihre Arbeit für das Handwerk im KammerbezirkMünster in 2020 verändert?

Der Wegfall persönlicher Kontakte zu unseren Mitgliedsbetrieben war eine der spürbarsten Veränderungen. Die mangelnden Kontaktmöglichkeiten führten zu einem weiteren Rückgang der Nachfrage nach  Lehrstellen. Die gegenwärtige Dynamik beim Einsatz digitaler Instrumente haben wir in kürzester Zeit zum Gegensteuern genutzt und uns an Online-Ausbildungsmessen beteiligt. Auch der Einsatz der  Ausbildungsbotschafter in Schulen auf digitalem Weg war machbar. Wann immer es aber möglich war und ist, gehen wir in die Schulen und bieten dort Sprechtage an.

Prüfungen spielen im Berufsbildungssystem eine zentrale Rolle: Die Handwerkskammer und die Innungen im Kammerbezirk haben sich in kürzester Zeit auf die neuen Herausforderungen eingestellt und die im  Lockdown ausgefallenen Termine zügig nachgeholt. 4.332 Auszubildende haben eine Abschluss- oder Gesellenprüfung vor der HWK oder einer Innung im Regierungsbezirk Münster abgelegt. Dies ist in erster  Linie auf die hohe Einsatzbereitschaft und Motivation der ehrenamtlich Prüfenden zurückzuführen.

Knut Heine


In unseren Beratungen nahmen wir zahlreiche zumeist telefonisch individuelle Situationsanalysen vor, um viele technische und rechtliche Fragen zu klären, auf die es keine vorgefertigten Antworten gab; vielmehr sind auch wir in der Handwerkskammer fast täglich mit weiteren und neuen Vorschriften, Regeln und anderen Aussagen konfrontiert gewesen, die am nächsten Tag vielleicht schon wieder überholt waren.

Im Gespräch mit Thomas Harten


Im Gespräch mit Thomas Harten

Geschäftsführer der Handwerkskammer Münster; Geschäftsbereich  Wirtschaftsförderung

Geschäftsführer der Handwerkskammer Münster; Geschäftsbereich Wirtschaftsförderung




Wie hat das Coronavirus Ihre Arbeit für das Handwerk im Kammerbezirk Münster in 2020 verändert?

Die Arbeitsschwerpunkte der Wirtschaftsförderung haben sich deutlich verändert. Gerade im ersten Halbjahr standen telefonische Anfragen zu den tagesaktuellen Themen der Pandemie im Mittelpunkt der  Kurzberatungen. Dazu gehörten Betriebsschließungen, Fördermaßnahmen, Hygiene- und Arbeitsschutz, Zugang zu ausländischen Märkten und viele andere Anliegen des betrieblichen Alltags.

Die  Informationsbeschaffung gerade bei den sich dynamisch verändernden Rahmenbedingungen war eine Kernaufgabe. Eine neue Organisationsstruktur musste aufgebaut werden zur internen und externen Kommunikation (zum Beispiel Hotlines, Internetauftritt, Newsletter, Struktur der Beratungen). Grundsätzliche Fragestellungen für das Handwerk waren ad hoc zusammenzuführen, um sie an Verwaltungen, Multiplikatoren und Politik auf allen Ebenen weiterzureichen. Somit konnte auf viele Maßnahmen und Regelungsinhalte Einfluss genommen werden. Auch die Mitarbeit in diversen Krisenstäben diente dazu. Daraus sind auch Aktionen mit weiteren Akteuren entstanden, etwa die zur Stärkung des innerstädtischen Einzelhandels.

Thomas Harten


Zum Jahresende sind dann zu den vielen immer noch notwendigen Kurzberatungen auch unsere strukturierten Beratungen wieder hinzugekommen. Zusätzlich mussten die Veranstaltungen, die bisher in  Präsenzform durchgeführt worden sind, auf digitale Formate umgestellt werden. Gerade hier hat sich eine ganz neue Teilnehmerstruktur aus dem Handwerk ergeben.

Im Gespräch mit Katharina Semmler


Im Gespräch mit Katharina Semmler

Katharina Semmler

Leiterin des Geschäftsbereichs Berufbildungsstätten






Wie hat das Coronavirus Ihre Arbeit für das Handwerk im Kammerbezirk Münster in 2020 verändert?

Die Arbeit im Bildungszentrum der Handwerkskammer, dem HBZ Münster, lebt vom direkten Kontakt zwischen Teilnehmern und Dozenten, die ihr Wissen und ihre Erfahrung aus erster Hand weitergeben. Vor März 2020 besuchten manchmal mehr als 1.000 Teilnehmer pro Tag unsere Lehrgänge in den rund 60 Werkstätten. Von Hundert auf Null in weniger als einer Woche war auch für das HBZ ein gravierender Einschnitt: Auszubildende mussten ihre überbetrieblichen Lehrlingsunterweisungen abbrechen, Meisterschülerinnen und -schüler hatten keinerlei Gewissheit, ob und wann sie ihre Lehrgänge abschließen konnten und Führungskräfte sahen sich mit anderen Themen konfrontiert als den Besuch eines Kurses in der Akademie für Unternehmensführung.

Dank der Lernplattform HBZ-Online, mit der wir seit Jahren erfolgreich arbeiten und einen wichtigen Schritt in Richtung Digitalisierung der beruflichen Bildung schon vor der Pandemie gegangen waren, gelang es,  weite Teile des Theorieunterrichtes rasch auf Online-Unterricht umzustellen. Diese Veränderung war 2020 wegweisend für uns.

Katharina Semmler


Wir haben in 128 Lehrgängen insgesamt rund 25.000 Stunden Online-Unterricht durchgeführt. 160 Dozentinnen und Dozenten haben viel Zeit und Gedanken investiert, um ihre Kurse digital umzusetzen. Die Erfahrungen sind so positiv, dass wir auch über die Pandemie hinaus auf mehr E-Learning setzen: 40 Prozent unserer Dozenten wollen auch zukünftig mindestens 50 Prozent virtuell unterrichten, und auch die deutliche Mehrzahl der Teilnehmenden wünscht sich weiterhin die Flexibilität des Online-Unterrichtes. Wir arbeiten nun an langfristig tragfähigen Konzepten.

Im Gespräch mit Bernd Wiesmann


Im Gespräch mit Bernd Wiesmann

Geschäftsführer der Handwerkskammer Münster; Geschäftsbereich Personal, Finanzen und Ressourcenmanagement

Geschäftsführer der Handwerkskammer Münster; Geschäftsbereich Personal, Finanzen und Ressourcenmanagement






Wie hat das Coronavirus Ihre Arbeit in der HWK Münster in 2020verändert?

Seit März 2020 dominiert die Corona-Pandemie auch die Tätigkeiten des Geschäftsbereichs Personal, Finanzen und Ressourcenmanagement. Als interner Dienstleister für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter  wie auch als Ansprechpartner unserer Betriebe zum Kammerbeitrag hatten wir uns kurzfristig auf völlig neue Herausforderungen einzustellen. Über allem stand das Ziel, die Auswirkungen der Pandemie intern so  gering wie möglich zu halten und die Betriebe in dieser Situation bestmöglich zu unterstützen.

Nachdem die traditionell im März vorgenommene Beitragsveranlagung mit Beginn der Pandemie verschoben  wurde, erarbeiteten wir situationsgerechte Lösungen für die Betriebe. Die Veranlagung wurde letztlich in mehrere Chargen aufgeteilt. Zudem erhielten die Betriebe umfangreiche Raten- und Stundungsmöglichkeiten in der Pandemie. Das wurde sehr gut angenommen.

Im Personalmanagement galt es, den Arbeits- und Gesundheitsschutz anzupassen. So wurden die Gefährdungsbeurteilungen angepasst, Masken verteilt, Schutzwände installiert sowie die Arbeitsschutzunterweisungen überarbeitet. Für die Berufsbildungsstätten musste temporäre Kurzarbeit eingeführt werden.

Bernd Wiesmann


Die IT-Abteilung ermöglichte umfangreiche mobile Arbeitsmodelle. Glücklicherweise hatten wir bereits vor der Pandemie Maßnahmen zum sicheren mobilen Arbeiten eingeleitet, sodass wir bereits nach kurzer Zeit  wesentliche Bereiche der Kammer ganz oder teilweise auf mobiles Arbeiten umstellen konnten. Weitere Digitalisierungsprojekte haben durch die Pandemie einen zusätzlichen Schub bekommen.

Im Gespräch mit Michael Hoffmann


Im Gespräch mit Michael Hoffmann

Portrait: Michael Hoffmann

Leiter des Stabsbereichs Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit und Wirtschaftsbeobachtung der Handwerkskammer Münster






Wie hat das Coronavirus Ihre Arbeit für das Handwerk im Kammerbezirk Münster in 2020 verändert?

Die Digitalisierung in der Kommunikation hat sich noch verstärkt. In Coronazeiten blühten Videokonferenzen und Live-Streamings auf. Auch die Mediengestaltung und Events werden digitaler. Die Bereiche  Internet und Social Media gewinnen durch Corona weiterhin an Fahrt und deshalb noch mehr an Bedeutung für den Austausch mit den Handwerksbetrieben und die zeitnahe Information in schwierigen Zeiten. Die Besuche auf unseren Online-Plattformen über diese Kanäle haben sich zahlenmäßig vervielfacht.

Der persönliche Austausch zum Netzwerken – gerade im Sinne der Interessenvertretung für das Handwerk in der Region – gestaltete sich dagegen sehr schwierig. Die Kommunikation „zwischen den Zeilen“ fiel  weitestgehend weg.

Das Wichtigste für uns war, ist und wird sein, dass der kommunikative Draht zu den Medien und Betrieben, Handwerkerinnen und Handwerkern nicht darunter leidet und dass wir gerade in Zeiten von besonders großem Informationsbedarf kontinuierlich bedarfsgerecht kommunizieren.

Michael Hoffmann


Ein Beispiel dafür ist der Corona-Effekt-Index zu den Folgen der Corona-Krise für Handwerksunternehmen. Wir haben ihn gleich zu Beginn der Pandemie auf der Basis einer monatlichen Corona-Blitzumfrage  entwickelt. Darüber konnten uns zum einen die Betriebe mitteilen, wie es ihnen erging. Zum anderen können wir die Auswirkungen der Corona-Krise für das Handwerk gegenüber der Öffentlichkeit und Politik deutlich machen.